Wir schlendern durch die Herrengasse, viele Leute genießen den heutigen Samstag im Freien und freuen sich über ein paar Sonnenstrahlen. Wir beschließen uns im Tribeka in der Kaiserfeldgasse hinzusetzen und einen Cafe zu trinken. Wir reden über alles mögliche. Wir nehmen die Sirene eines Einsatzfahrzeuges war. Wir reden weiter über andere, belanglose Dinge. Wieder eine Sirene.
Er meint “… Bim ist ja jetzt auch schon lange keine mehr gefahren…”
Und noch eine Sirene. Und noch eine. Und es wird zu einem Meer an Sirenentönen. Wir sehen wie ein Rettungsfahrzeug nach dem anderen in Richtung Herrengasse brettert. Dazu kommen einige Polizeiwägen, Feuerwehr und Fahrzeuge mit Blaulicht am Dach.
Ich bekomme ein mulmiges Gefühl. Was ist da los? Was ist passiert?
Gerade eben waren wir noch am Hauptplatz und sind durch die Stände der Formel 1 in Spielberg geschlendert. Danach über die Herrengasse in Richtung Jako. Am Weg dorthin begegnet uns ein Freund meiner Eltern, den ich schon von Klein auf kenne. Wir bleiben kurz stehen, seine Tochter und Frau sind gerade noch im H&M und er am Weg zum Auto um das Parkticket zu verlängern. Wir verabschieden uns und setzen uns in die Kaiserfeldgasse.
Dort schreibe ich der Tochter eine Nachricht, ob wir uns nicht kurz treffen wollen. Zuerst sagt sie zu. Ich freue mich natürlich sehr!
Wieder Sirenen.
Ich schreibe einem Freund, ob er weiß was gerade am Hauptplatz los ist. Er verneint.
Wieder Sirenen.
Eine Frau rennt am Gastgarten vorbei. Sie sieht verängstigt aus. “ … Amokfahrer… Herrengasse… jetzt…”, diese Worte bleiben an meinen Ohren hängen. Ich erstarre.
“Wir müssen hier weg!”, sage ich mit zitternder, aber bestimmter Stimme. Er hat die Frau nicht gehört. “Da ist ein Amokfahrer in der Herrengasse!” Er sieht mich verdutzt an.
Ich habe Angst.
Ich versuche am Laptop herauszufinden was genau los ist. “Oh Gott…”, sagt er, zeigt mir sein Handy. Am Display sehe ich Twitter und die Suchanfrage #Graz.
Meine Freundin schreibt mir, dass sie doch schon Richtung Hauptplatz unterwegs sind. Mir wir ganz heiß. Ich versuche sie anzurufen – Mobilbox. Ich versuche ihren Papa anzurufen. Er hebt ab. Ich rede schnell “Nimm deine Mädels und weg!”. Mir wird ganz bang. Zum Glück geht es den beiden gut, aber sie waren dabei. Zum Glück auf der anderen Straßenseite.
Wieder Sirenen.
Ich halte es nicht mehr aus, wir stehen auf und gehen Richtung Hans-Sachs-Gasse. Wieder Sirenen. Ich habe noch immer Angst und halte seine Hand noch fester. Ich ziehe ihn zu mir her und vergrabe mein Gesicht in seiner Schulter. Ich kann mich nicht mehr beherrschen und fange zu weinen an. “Wieso nur…”, mehr kann ich gerade nicht denken.
Er manövriert mich in die Buchhandlung Moser hinein, denn er will mich und sich ablenken. Vom 2. Stock aus sehe ich kurz auf die Herrengasse hinunter. Alles ist mit Polizeiwägen versperrt. Viele Menschen gaffen hinein. Ein Rettungswagen versucht sich durch die Menschen zu drängen. Sie weichen nicht sofort aus. In mir kommt Rage hoch. “Weicht aus, ihr Trotteln”, denke ich.
Nach einer halben Stunde verlassen wir die Buchhandlung, die Herrengasse ist nach wie vor gesperrt. Passanten tauschen Neuigkeiten aus. Scheinbar gibt es schon 2 Tote und zig Verletzte. Wir setzen uns in der Färbergasse in ein Lokal.
Eine Pressekonferenz ist für 17:00 angesetzt. “Für diese Tat gibt es keine Erklärung. Für diese Tat gibt es keine Entschuldigung”, sagt der Landeshauptmann der Steiermark, Hermann Schützenhöfer. 3 Tote, darunter ein Kind und mehr als 30 Verletzte, einige ringen noch um ihr Leben.
Wir beschließen nach Hause zu fahren und gehen Richtung Jako. Dabei müssen wir wieder an der Herrengasse vorbeigehen. Die Polizei hat mittlerweile Zäune errichtet, damit Schaulustige nicht in die Herrengasse laufen und die Einsatzkräfte behindern. Davor liegen Blumen und Kerzen. Menschen knien nieder und halten einen Augenblick still.
#PrayforGraz#Grazpic.twitter.com/JF41VHBD2Q
— Chronic Wanderlust (@wanderlust_Vik) June 20, 2015
Später gibt es einen Gedenkgottesdienst. Die Herrengasse wird wieder geöffnet. Überall sind Menschen, die mehr Kerzen und mehr Blumen bringen.
no sound #graz pic.twitter.com/Hbi7py2tIr
— Thomas Kuhelnik (@ThomasKuhelnik) June 20, 2015
Was heute in Graz geschehen ist, werden ich niemals vergessen.
Wir alle werde es niemals vergessen.
I wish yesterday would have been one of those days!#Graz #PrayforGraz
Posted by Chronic Wanderlust on Sunday, 21 June 2015