Es gibt diese Momente im Leben, die einfach so unglaublich schwer zu beschreiben sind – weil sie einfach wirklich kaum zu glauben sind. Und genau sowas ist mir vergangene Woche passiert.
Ich wurde erfolgreich als Statist für die 3. Staffel Narcos gecastet. Wer sich jetzt ein wirklich aufregendes Casting mit Herumlaufen und Fotomappe vorstellt, den muss ich leider enttäuschen.
Denn dieses Casting fand per WhatsApp statt.
Als Mitglied einiger Facebook Gruppen für Ausländer in Bogotá und über meine kolumbianischen Studienkollegen habe ich davon erfahren und einfach mal mein Foto und meine Daten an die Kontaktperson geschickt. Natürlich hätte das ganze auch einfach eine Abzocke sein können, aber mein Bauch hat mir gesagt, dass es schon passen würde. Außerdem hatte eine Studienkollegin schon als Statistin mitgewirkt, und mir voller Begeisterung davon berichtet.
Nach nur wenigen Minuten, bekam ich auch schon eine Rückmeldung auf meine äußerst professionelle WhatsApp-Bewerbung: Te confirmo! Du bist mit dabei!
Wahnsinn! Ich würde doch tatsächlich bei einer Netflix Produktion dabei sein. Und als Tüpfelchen am i würde es sogar eine Gage geben! Was will man mehr!?
Maske und Garderobe
Um kurz vor 6 treffe ich also am vereinbarten Treffpunkt im Zentrum von Bogotá ein. Ich hatte mich schon über die Adresse gewundert, denn dort steht kein Gebäude. Nur ein Parkplatz. Und auf diesem stehen zwei weiße Zelte und ein Wagon. Ein paar andere Gringos (eigentlich sind damit ja die Amis gemeint, aber generell werden alle ausländisch wirkenden zuerst einmal als Gringo abgestempelt) warten auch schon und wir würden an dem Tag immer wieder warten.
Die meisten sind wie ich zum erstem Mal als Statist irgendwo dabei. Ein paar andere waren schon bei anderen Serien, Filmen oder auch bei anderen Folgen von Narcos mit dabei.
Tu – al vestuario! Mit diesen Worten werde ich in die Garderobe geschickt, die wie sich herausstellt im Wagon befindet. Ich werde in einen dunkelblau-grünen Faltenrock und eine türkise Bluse gesteckt und fühle mich gleich um einige Jahre zurückversetzt.
Dann ein kleines Problem: die Schuhe! Die Latinos sind ja bekanntlich eher kleiner und haben deswegen auch winzig kleine Füßchen – im Vergleich zu mir. Denn mit meinen 41/42 Monsterfüßen gibt es nur ein einziges Paar, das mir irgendwie zu passen scheint.
Sigue a maquillaje! Und schon werde ich weiter in die Maske geschickt. In einem der weißen Zelte stehen zwei Tische mit je einem Spiegel und diesem Rahmen aus Glühbirnen. Meine Haare werden toupiert, geföhnt, gelegt, mit Haarspray fixiert und schon wird mir mehr Farbe ins Gesicht geklatscht als ich sonst in einem Jahr trage – aber das Resultat passt für die Serie gut. (Außerdem wird man mein Gesicht ja auch nicht in Nahaufnahme sehen.)
Viki nach der Maske
Auf zum Set
Mit meinen minder bequemen Schuhen watschle ich dann mit den anderen zum eigentlichen Set. Die Leute in den Straßen der Altstadt drehen sich reihenweise nach uns um.
Stell dir die Situation mal vor: Um die 40 Gringos, die in alten 80/90er Looks komplett aufgetakelt durchs historische Zentrum von Bogotá wandern. Ich kann mir den fetten Grinser im Gesicht nicht verkneifen. So fühlt es sich also an wenn man berühmt ist^^
Wir betreten ein altes Gebäude, den Palacio de San Francisco, und ich bin erstaunt wie viele Kabel überall herumliegen und viel viele Leute geschäftig herumschwirren. Für uns einfache Statisten scheint keiner ein Auge zu haben. Unser Verantwortlicher manövriert uns in den – ganz nebenbei wunderschönen – Innenhof.
Sientense y callados – super callados todos! Hinsetzen und still sein/Goschn hoitn! Denn in einem der Säle im ersten Stock wird gerade gedreht und jeder noch so kleine Mucks im Innenhof hallt über die Fenster direkt in die Mikrofone und zerstört die Szene.
Immer wieder höre ich RODANDO! ACCIÒN! Denn viel mehr dringt nicht in den Innenhof herunter. Wie gerne würde ich jetzt gleich rauf in diesen Saal gehen und zusehen wie sie Szene um Szene drehen.
Aber zum Glück dauert es nicht mehr lange und wir werden gerufen – es ist soweit!
Die Geschworene
Wir werden in den ersten Stock geführt und dort in einen eher kleinen Gerichtssaal geführt. Hinter dem Richter stehen je eine Fahne der Vereinigten Staaten aus Amerika und eine aus Lousiana.
Der Regisseur, einige Kameraleute und andere, deren Aufgabe ich nicht eindeutig zuordnen kann, schwirren wie mächtig beschäftige Bienen beim Honigsammeln durch den Saal.
Worum es in dieser Szene wirklich geht, kann ich nicht sagen, aber ihr werdet es in Episode 10 dann sehen – und auch mich!
Meine Aufgabe in diesem Gerichtssaal ist die einer Geschworenen. Gemeinsam mit elf anderen Gringos besetzen wir im rechten Teil des Saales zwei Bänke.
Fun Fact 1: Keiner von uns ist tatsächlich aus den USA.
Fun Fact 2: Als wir in den Gerichtssaal und auf den Bänken Platz nehmen, tadelt der Regisseur den Menschen, der uns gecastet hat. Grund: No todos los gringos son rubios! Nicht alle Amis sind blond! (Zwar sind tatsächlich nicht alle blond, aber die überwiegende Mehrheit.)
Y Acción!
Bevor der Regisseur allerdings dies ruft, werden die einzelnen Schritte der Szene noch durchgegangen. Wer bewegt sich wie, wer sieht wohin, was sollen wir Statisten auf keinen Fall tun, die eigentlichen Schauspieler üben ihre Zeilen noch einmal. Besonders faszinieren mich die Kameraleute, wie sie wie Walzertänzer durch den Saal schweben um jeden einzelnen Schwenk zu perfektionieren und intus zu haben.
Auf der Angeklagtenbank sitzt ein doch recht bekannter Schauspieler, der schon einige Hollywood-Produktionen hinter sich hat. Er wirkt am gelassensten und überhaupt nicht so als würde es für seinen Charakter bald um alles gehen. Ein echter Profi – und so ein Sympatischer! Denn er erzählt immer wieder Witze, fängt auf einmal an ein Lied zu singen und verstummt dann plötzlich wieder. Ich kann die Augen gar nicht von ihm lassen, denn wer weiß, was er im Schilde führt.
Eigentlich dürfen wir am Set keine Fotos machen, aber als der Regisseur auf einmal aus dem Saal rennt, ergreift Mr. Schauspielstar die Gelegenheit, schnappt sich mein Handy und macht ein Selfie mit uns! <3 Mein Held!
Und jetzt wirklich: Acción!
Und auf einmal geht alles flott – der Regisseur will gleich die erste Aufnahme drehen. Mit Kamera und allem drum herum.
Einer der Anwälte hält seine kurze Rede und leitet damit die Szene ein, der Angeklagte sitzt – viel zu lässig für seine Situation – da und wartet bis er den Anwalt belehren kann. Wir Geschworenen lauschen dem Anwalt als würde er gerade den spannendesten aller Krimis vorlesen, im Hintergrund tippt die Schriftführerin hörbar seine Worte ab.
Alles scheint gut zu gehen – bis zwei Gerichtsdiener eine Staffelei in die Mitte des Saales tragen oder eher tragen sollen, denn das geht ziemlich schief und sieht auch verdammt potschat (tollpatschig) aus.
Im selben Moment schreit jemand CCUUUUUUUT!!! und beendet damit die Szene. Der Regisseur kommt aus dem Nebenzimmer herein und tobt.
Die beiden Gerichtsdiener werden daraufhin mehrfach im Staffelei-Tragen geschult, bis es nicht mehr ganz so hilflos aussieht.
Siebenmal wiederholen wir die Szene mit Kamera bis sie perfekt im Kasten ist und der Regisseur jauchzelnd durch den Gerichtssaal tanzt! Die gesamte Crew stimmt in seinen Freudentanz ein und jeder scheint jeden zu umarmen. Diese Szene ist eine der letzten der gesamten Staffel und der angeklagte Schauspieler hat heute seinen allerletzten Tag am Set. Und das nach über sechs Monaten in Kolumbien. (Die Dreharbeiten starteten bereits im Juni/Juli 2016 und waren mit Anfang Mai 2017 beendet.)
Ende
Ebenso wie wir reingescheucht wurden, werden wir nun wieder aus dem Gerichtssaal hinausgescheucht. Es gibt ein Mittagessen und dann geht es im Entenmarsch wieder zurück zur Garderobe.
Wie gut es tut wieder in seiner eigenen Hose und seinen eigenen Schuhen zu stecken.
Kurz danach kommt jemand wichtiger vorbei: der Mensch mit den Gagen:
Danke Cali Cartel für meine Gage & Fazit
Wer hätte je gedacht, dass ich dank eines Drogenkartell einmal Geld verdienen würde – und das auf komplett legale Weise 😉
Die Gage ist zwar nicht die Welt, aber 120.000 COP / 40 € für einen halben Tag Arbeit in Kolumbien – nicht schlecht! Davon kann ich hier für locker zwei Wochen Lebensmittel und frisches Obst kaufen – oder einige Male essen gehen.
Nach den paar Stunden am Set von Narcos muss ich zugeben, dass ich NIEEEMALS gedacht hätte, dass so viele Menschen involviert wären. Die Szene, die wir gedreht haben, dauert maximal eine Minute in der Rohfassung. Der Aufwand dafür ist jedoch gigantisch (und auch kostspielig).
Sodala, meine Lieben, das war also der Einblick hinter die Kulissen von Narcos, ich werd jetzt „Statist bei Netflix Produktion“ meinem Lebenslauf hinzufügen 😉